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The Magic of

Understanding

Warum wir anstelle von Sprachkompetenz

Verstehenskompetenz brauchen

Bilinguale Paare, Paare also, die zwei verschiedene Muttersprachen haben, haben stabilere Beziehungen. Weil sie es gewöhnt sind, noch mal zu überlegen, was der andere wohl gemeint hat. Weil sie ihre eigenen Definitionen nicht über die des Partners stellen. Weil sie von Anfang an trainiert haben, einander zu verstehen – auch ohne Sprache.

 

Sie haben vielleicht auch die Sprache des Partners gelernt, was sie aber vorher entwickelt haben: Verstehenskompetenz. Die Voraussetzung dafür ist bei Paaren einfach: Die Bereitschaft einander zu verstehen ist sehr groß. Quasi eine Sehnsucht. Diese Bereitschaft zu verstehen überbrückt am Anfang die Sprachlosigkeit und später mögliche Konflikte, die bei Menschen mit gemeinsamer Sprache teilweise sogar durch die Wortwahl noch eskalieren. Denn, wenn man sicher ist, dass man sich versteht, dann hinterfragt man die eigene Interpretation dessen, was der andere gemeint haben könnte, weniger. Und dann geht es nicht mehr ums wirkliche Verstehen, sondern nur noch um das, was ich mit meinem eigenen Horizont verstehen wollte.

Verringert Sprachkenntnis die Verstehensbereitschaft?

Sprachkompetenz ist sehr bedeutend. Ohne Sprache geht nichts. Das ist eine allgemeine Erkenntnis. Mit dieser Erkenntnis stand ich regelmäßig nervös vor den englischsprachigen Terminen und versuchte, noch einmal ein paar Vokabeln nachzurüsten. Erstaunlicherweise bin ich nicht nur immer verstanden, sondern auch ernst genommen worden. Inzwischen denke ich anders von meinem Englisch: Es ist grandios im Vergleich zu meinem Französisch. Und erst recht im Vergleich zu null Worten Niederländisch. Das sind die beiden Sprachen in der Stadt, in der ich lebe. Und dann werden dort noch viele andere Sprachen gesprochen, weil es so viele unterschiedliche Nationen gibt, die hier leben. Am meisten Marokkaner. Englisch ist hier nicht der kleinste gemeinsame Nenner. Der wäre zu klein. Etwas anderes ist hier auffällig: Egal in welcher Sprache – man versucht sich zu verstehen. Zumindest erlebe ich das so. Und weil man daran gewöhnt ist, dass das Gegenüber vielleicht nicht die gleiche Sprache spricht, hat man andere Techniken, mit denen man zu einem gelungenen Austausch kommt.

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Dabei geht es noch nicht um komplexe strategische Fragestellungen, aber immerhin um Lebenssituation, alltägliche Bedürfnisse und die Erklärung, warum bin ich hier. Mit weniger sprachlicher Möglichkeit ist das auch viel einfacher auszudrücken. Und die ganze Komplexität, die ich in eine deutsche Antwort legen kann, kommt mir auf Französisch auch schon viel weniger belastend vor. Ich kann noch keinen Konjunktiv und kein Futur. Ich bleibe im Hier und Jetzt. Ich beobachte und erlebe anders. Sprachlos.

 

Es wird weniger gehupt, obwohl mein Verkehrsverhalten von kompletter Unkenntnis über die Straßenführung geprägt ist. Es wird mehr kommuniziert. Man zeigt mir das richtige Gleis, indem man mich hinbringt – erklären wäre zu umständlich. Mein ratloses Gesicht im Supermarkt bringt den Kassierer dazu, mir das System zu erklären. Auf Französisch. Und mit den Händen. Alles klar. Wir kennen uns jetzt schon. Ich werde begrüßt wie eine Stammkundin. Nach drei Wochen. Sprachkompetenz ist das nicht. Es ist etwas anderes. Es ist Verstehenskompetenz. Oder eben die Bereitschaft zu verstehen. Wir wissen, dass in Vorträgen nur ein kleiner Teil der Wirkung durch Inhalt erzielt wird, der weitaus größere Anteil wird durch Körpersprache und Stimme erreicht. Diese Komponenten spielen in meiner Kommunikation in der neuen Stadt nun eine größere Rolle. Augenkontakt, Lächeln und vor allem Konzentration auf das Gegenüber. Das würden sie nicht, wenn ich über all diese Sprachen verfügte.

 

Denn dann würde es mir reichen, mit ein paar richtigen Worten mein Ziel zu erreichen. Ohne Worte erreiche ich gerade scheinbar fast mehr. Eine nette Flämin brachte mich kurzerhand zum richtigen

Gleis, weil ich die komplexe Erklärung in keiner ihr verfügbaren Sprache schnell genug verstanden hätte. Mit Gestik, Lächeln und Konzentration auf das Gegenüber wird man auch viel schneller erinnert. Jede Interaktion wird ein wenig intensiver – natürlich auch, weil sie viel risikoreicher ist: Man könnte nicht verstanden werden oder gar ausgelacht … ähnlich wie verliebte Paare benötigen

auch Kinder keine gemeinsame Sprache, um sich zu verstehen.

 

Eine Fähigkeit, die uns mit der Konzentration auf saubere Sprache abtrainiert wird. Dabei wäre es gerade heute so wichtig, wenn wir diese Fähigkeit des Sichverstehens ohne Worte bzw. ohne miteinander festgelegten Wortbedeutungen beherrschten. Zum Beispiel für die Integration von Fachkräften aus anderen Ländern, gerade im Medizinbereich, aber auch sonst.

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Die Familie sollte eine Asylsuchende mit ihrem behinderten Kind aufnehmen. Die Mutter erklärte den Kindern, worum es ging. Der Vierjährige hörte sich alles aufmerksam an. Es ging um den Umgang mit Behinderungen in anderen Ländern und die Bedrohung, die daraus für das Kind folgte. Am Ende des Gesprächs sagte er zusammenfassend: „In Deutschland gibt es keine Krokodile.“ Krokodile waren nie vorgekommen. Aber das, was erklärt worden war, dafür hatte er noch keine anderen Worte. Er hatte das Wichtigste verstanden.

In internationalen Unternehmen, in denen Englisch Unternehmenssprache ist, fühlen sich gerade deutsche Führungskräfte oft ihrer Kompetenz beraubt. Deshalb sind deutsche Unternehmen damit

auch am weitesten zurück. Man hat Angst, Zeit zu verlieren, man bangt um die Präzision. Aber andere Unternehmen sind schon längst auch auf anderen Hierarchieebenen dabei, Verstehenskompetenz herzustellen. Dazu gehören Sprachkurse, ja. Aber vor allem eine Haltung, die dazu führt, dass der Kollege, der statt Miracle Mirror sagt, trotzdem verstanden wird – ohne Naserümpfen. Denn zur Verstehenskompetenz gehört die Bereitschaft, in einer fremden Sprache, in der man ungeübt ist, zu sprechen, Fehler zu machen. Verstehenskompetenz braucht Mut und Vertrauen. Fähigkeiten, die auch eine wichtige Grundlage für eine gute Fehlerkultur sind. Fähigkeiten, die Silodenken überwinden. Denn Verstehenskompetenz schließt mit ein, dass beide sich ihrer Verantwortung fürs Ergebnis bewusst sind: Sprecher und Hörer.

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Mein Sohn kann besser Englisch als ich. Es liegt an Netflix. Und YouTube. Er kann auch viel besser Filmen folgen. Erklärvideos oder was auch immer. Mir fehlt diese Kompetenz. Ich bin es noch gewöhnt, ein Buch in meiner Sprache zu einem Sachverhalt zu lesen. Leider gibt es die oft erst später, als ich sie bräuchte. Das liegt vermutlich daran, dass nur, wer liest, auch gut schreibt. Ich bin inzwischen nicht mehr sicher, ob ich zu mehr Lesen für bessere Sprachkompetenz mahnen soll. Oder ob diese Mediennutzung vielleicht gar keine schlechte Vorbereitung für eine Zukunft ist, in der von den jetzigen Schülern ganz anderes erwartet wird: Kein perfektes Englisch, sondern Verstehenskompetenz. Keine fehlerfreien Briefe, dafür gibt es Autokorrektur, sondern reflektierte Adaption neuer Techniken und Kanäle. Keine geschriebenen Bücher, sondern multinational verständlich dargebotene Erklärfilme.

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Nach einem Schlaganfall war seine Sprache weg. Er hatte nur noch wenige Worte. Die setzte er als Platzhalter ein für die Worte, die ihm nicht einfielen. Es war an den Gesprächspartnern zu verstehen, welche Bedeutung das jeweilige Wort transportieren sollte. Der Kontext half. Da wurden Söhne zu Freunden und Arbeit zu Tisch und für Fortbewegung gab es nur ein einziges Verb, gehen, obwohl an gehen noch nicht wieder zu denken war. Die Sätze waren kurz und unterbrochen. Aber: Er wurde verstanden. Seine Familie erfuhr, wie wenig Verstehen mit Worten zu tun hatte und wie viel mit Wollen.

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Zahnärzte ohne Grenzen. Mongolei. Die Zahnärztin und eine Einheimische unterhalten sich. Beide sprechen in ihrer Sprache. Sie zeigen sich Fotos. Sie gestikulieren. Sie lachen. Sie erfahren eine Menge voneinander. Obwohl sie keine gemeinsame Sprache sprechen.

Wir haben über die Waldorfschüler gelacht, die ihren Namen tanzen lernten. Was gäbe ich zurzeit manchmal dafür, genau das zu können. Dann würde mich der Supermarktkassierer mit arabischem Hintergrund vielleicht mit eben diesem Tanz begrüßen. Wer weiß? Die Jugendlichen, die statt eines einfachen Händeschüttelns eine komplizierte Hand-Finger-Choreografie entwickeln und diese in atemberaubender Geschwindigkeit anwenden, sind auch da auf einem anderen Weg. Das ist ein geschriebenes Magazin. Gedruckt sogar.

 

Noch verdienen wir Geld mit guten Texten. Aber auch schon mit Filmen. Die sind aber immer noch in einer Sprache. Im Januar testen wir ein neues Trainingskonzept: Persönliche Performance ohne Sprache. Mit Mitarbeitern von UNESCO, internationalen Unternehmen, Body-Language-Trainern, Linguisten und Führungscoaches. In Brüssel. Denn Verstehenskompetenz wird die vielleicht zukünftig nachgefragtere Kompetenz sein, vor fehlerfreien geschliffenen muttersprachlichen Texten. Und die dazugehörende Haltung, der Mut und das Interesse am Gegenüber werden wohl auch vor anderen Kompetenzen der alten Welt kommen.

 

boy verspricht wirksame Kommunikation. Um dies zu gewährleisten, erforschen wir stetig, was Wirkung generiert. Um Verstehen zu gewährleisten, gehen unserer Botschaftenentwicklung sowie der kreativen Umsetzung eine intensive Beschäftigung mit der Zielgruppe ebenso voraus, wie Bildspracheanalysen, Analysen des kulturellen Umfelds und Pretests.

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